Zwischen Dammbruch-Sorgen und Selbstbestimmungsrecht. Veranstaltungen der WOCHE FÜR DAS SELBSTBESTIMMUNGSRECHT

dgpd Berlin/Augsburg) Spätestens seit der spannenden Diskussion in Deutschland, wohin eine Gesetzgebung zur Euthanasie wie in den Niederlanden führt, bleiben die Lager der Befürworter und ethischen Bedenkenträger gespalten. Die DGHS, die DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN (Augsburg) hat deshalb zum zweiten Mal Anfang November zur Diskussion aufgerufen, bundesweit mit der WOCHE FÜR DAS SELBSTBESTIMMUNGSRECHT (1. - 9. November). 

Obwohl Kirchenvertreter und kirchenorientierte Hospize eingeladen waren, blieb deren Reaktion verhalten. Die Chance zur direkten Kommunikation wurde nicht wahrgenommen; in den zentralen Fragen stehen sich zwei Lager gegenüber: diejenigen Bürger, die ein Selbstbestimmungsrecht bis zur letzten Lebensminute wahrnehmen möchten - als Ultima Ratio bis zur aktiven direkten Sterbehilfe - und diejenigen, die Angst haben, bei einer gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe könnte ein sozialer Druck entstehen gegenüber jenen, die nicht aktiv sterben möchten. 

Zur Auftaktveranstaltung der Woche für das Selbstbestimmungsrecht in Berlin erläuterte der Strafrechtler und ehemalige Präsident der Georg-August-Universität Göttingen, Hans-Ludwig Schreiber, den kontrovers diskutierten Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17. März in einer Betreuungssache. Der Patient hatte am 29. November 2000 infolge eines Myocard-Infarkts einen schweren Gehirnschaden erlitten. Die vorher unterzeichnete Willensverfügung untersagt verschiedene medizinische Therapien. Sie fordert die Einstellung der Ernährung, sollte der Betroffene irreversible Bewusstlosigkeit, schwerste Dauerschäden seines Gehirns oder andere näher bezeichnete Belastungen haben. Schreiber unterstrich einesteils die Aufwertung der Patientenverfügung durch den BGH, bemängelte andererseits die mangelhafte Überzeugungskraft der Gerichtsentscheidung bei anhaltend schwieriger Rechtslage. Der Präsident der Landesärztekammer Thüringen, Eggert Beleites, mahnte ein weiteres Bemühen um Meldung von konkreten Fällen an, in denen der Wille von Patienten nicht respektiert werde. Die Tagung mit Gita Neumann (Bundesbeauftragte des Humanistischen Verbandes Deutschlands), Gerhard Rampp (Pressesprecher des Bundes für Geistesfreiheit Bayern), Karlheinz Wichmann (Präsident der DGHS), Rosemarie Will (Bundesvorstand Humanistische Union Berlin) und Gabriele Wolfslast (Justus-Liebig-Universität Gießen) machte vor etwa 200 Gästen deutlich, dass noch erheblicher Nachholbedarf des Gesetzgebers, in der Ausbildung der Ärzte, aber auch seitens vieler Bürger bestünde. 

Eine aktuelle Repräsentativumfrage von forsa (Oktober 2003) enthüllte, dass lediglich 10 % der Bundesbürger eine Patientenverfügung für sich verfasst haben. Erfreulich sei die Anerkennung von Patientenverfügungen als "verbindlich" durch Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, "sofern sie sich auf die konkrete Behandlungssituation beziehen und keine Umstände erkennbar sind, dass der Patient sie nicht mehr gelten lassen würde." 

In Augsburg wurde das Thema, ob Patienten in Deutschland würdevoll und human sterben können, kontrovers diskutiert. Claus Fussek (Vereinigung für Integrationsförderung) und Christiane Lüst (Forum zur Verbesserung der Situation Pflegebedürftiger in Deutschland) kritisierten die unsäglichen Menschenrechtsverletzungen an Pflegebedürftigen und Sterbenden. Tiere würden in Deutschland meist besser behandelt werden, von einer Verbesserung der Pflegesituation könne keine Rede sein. Der Jurist Oliver Kautz präzisierte bei den von Zuhörern genannten und vorgelegten Willensverfügungen Ergänzungs- und Abstimmungsbedarf. In Statements der zahlreich erschienenen Gäste wurde das Spannungsverhältnis artikuliert, das aus politischer Blockadepolitik und Forderungen nach einer Diskussion im Bundestag zu diesen Themen erwächst. In der über 50-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hatte noch nie der Deutsche Bundstag in öffentlicher Sitzung das Thema einer gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe behandelt. Immerhin 82% der Bevölkerung haben sich gemäß einer Umfrage im Jahr 2002 für eine gesetzliche Regelung ausgesprochen - angefangen von der mitmenschlichen Sterbebegleitung bis hin zur Tötung Kranker auf Verlangen. 

Die DGHS machte abermals deutlich, dass sie breit angelegt sei, von der Suizidprophylaxe bis zum Respekt vor der Selbsttötung eines schwerkranken Patienten dann, wenn er seine Situation nicht mehr mit seiner selbst empfundenen Würde in Einklang zu bringen vermag. Entscheidend sei Vermeidung von Fremdbestimmung. Für seltene Extremfälle möge der Gesetzgeber § 216 StGB modifizieren und auch aktive direkte Sterbehilfe - geschützt gegen Missbrauchsgefahren - legalisieren. Dies ergebe sich aus Artikel 1 GG, der nicht nur die Würde des Menschen als unantastbar beschreibt, sondern alle staatliche Gewalt verpflichtet, sie zu achten und zu schützen. Gemäß Grundgesetz-Kommentar, der in Berlin zitiert wurde, schützt Artikel 1 GG "die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst wird (BVerfGE 49, 298)." 

Andere Gruppen und Veranstalter haben inzwischen die Anregung der DGHS zu einer WOCHE FÜR DAS SELBSTBESTIMMUNGSRECHT aufgegriffen und bieten themennahe Veranstaltungen an. Die DGHS wird am 7. November in Köln exponierten Vertretern der niederländischen Euthanasiebewegung die Chance einräumen, ihre Standpunkte vorzutragen. Am 9. November findet in Hamburg die Abschlussveranstaltung mit einer offenen Frage statt: "Gibt es ein Recht auf Sterben?" 

"Ja, aber..." würden die Juristen sagen. Und: "Es kommt auf den Einzelfall an...". 

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) mit knapp 40 000 Mitgliedern sowie zahlreichen Freunden und Förderern setzt sich für das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben ein ... damit das Leben bis zuletzt human bleibt.