BGH-Beschluss stärkt ärztlichen Paternalismus. Zum Beschluss des Bundesgerichtshofes

In seinem gestrigen Grundsatzbeschluss schreibt der Bundesgerichtshof (BGH) die Genehmigungspflicht für den Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen durch Vormundschaftsgerichte fest; geltendes Recht nicht geeignet, die Interessen eines einwilligungsunfähigen Patienten zu befriedigen; Gesetzgeber gefordert.

Die Richter haben nicht bedacht, dass es auch den von den DGHS angebotenen Patientenschutzbrief zur lebenserhaltenden Therapie gibt. Würden in einem solchen Fall Ärzte Behandlungsabbruch verfügen, bliebe der Wille des Patienten außen vor. Die DGHS kritisiert die Entscheidung deshalb als nicht ausgewogen im Interesse des Selbstbestimmungsrechts betroffener Patienten. 

Nicht der Patient und sein dokumentierter, durch den Betreuer umzusetzender Wille zählt damit, sondern das, was Ärzte und Richter für richtig halten. Noch stärker als bisher sollen sie laut BGH über Leben oder Tod entscheiden. 

Der Beschluss schwächt in wesentlichen Belangen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, der für den Fall seiner Äußerungsunfähigkeit durch eine Patientenverfügung seine Behandlungshoheit vorsorglich erhalten wissen will, in einem vehement abzulehnenden Ausmaß. Gleichzeitig stärkt er die nicht selten beanspruchte paternalistische Entscheidungskompetenz der Ärzte in unzumutbarer Weise. Ob nämlich der in einer Patientenverfügung zum Ausdruck gebrachte Wille durchgesetzt werden kann, soll davon abhängig sein, was ärztlicherseits "angeboten" wird. Unterbleibt unter (willkürlicher?) ärztlicher Gewichtung der Patientenverfügung (z.B. zur lebenserhaltenden Therapie) ein Behandlungsangebot, muss der Patient also sterben, ansonsten sind die Richter die Herren über Leben und Tod. Genau das haben viele von ihnen bisher abgelehnt. 

Die Gefahren verdeutlicht die Gesundheitsberichterstattung des Bundes zur Sterbebegleitung (2001). Darin heißt es: 

"In der Praxis werden therapiebegrenzende Entscheidungen häufig auf Drängen des Pflegepersonals von Ärzten gefällt, ohne dass der Patient und seine Angehörigen in den Entscheidungsprozess einbezogen werden." (Robert Koch-Institut in Verbindung mit dem Statistischen Bundesamt (Hrsg.): Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Heft 01/2001. Sterbebegleitung, S. 6).

Diese Sachlage zeigt, dass das geltende Betreuungsrecht und insbesondere § 1904 BGB, der schon bisher für unerträgliche Widersprüchlichkeiten in Rechtslehre und Rechtsprechung gesorgt hat, ungeeignet ist, die Interessen eines einwilligungsunfähigen Patienten befriedigend zu lösen. 

Vom Gesetzgeber ist zu fordern, diesen Missstand durch klare gesetzliche Regelungen abzuhelfen.

Die Vorgeschichte: Der Bundesgerichtshof hatte über den Fall eines seit November 2000 im Koma liegenden 72-Jährigen zu entscheiden und diesen Fall für einen Grundsatzbeschluss genutzt. Der als Betreuer bestellte Sohn des Patienten hatte unter Berufung auf die vorliegende Patientenverfügung des Betroffenen die Einstellung der künstlichen Ernährung mittels PEG-Sonde verlangt, da eine Besserung nicht zu erwarten sei. Den BGH angerufen hatte das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht. Anders als andere Gerichte hatte dieses Gericht die Genehmigungspflicht durch ein Vormundschaftsgericht verneint.

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) mit knapp 40 000 Mitgliedern sowie zahlreichen Freunden und Förderern setzt sich für das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben ein.